Alle Tiere müssen ihre Körpertemperatur regulieren. Wird sie zu hoch oder zu niedrig, können sie langfristig nicht überleben. Gleichwarme Organismen wie der Mensch verfügen dazu über verschiedene Mechanismen: Durch Verdunstung von Schweiß oder Weitung der Blutgefäße in der Haut geben sie Wärme ab. Zittern oder die Verbrennung von Fett im braunen Fettgewebe bewirken das Gegenteil.
Wechselwarme Tiere wie der Zebrafisch können all das nicht. Ihre Strategie ist eine andere: Sie suchen in ihrer Umgebung Orte auf, an denen ihre „Wohlfühl-Temperatur“ herrscht – ähnlich wie wir ein Sonnenbad nehmen, wenn wir frösteln, oder uns in den Schatten begeben, sobald uns zu heiß wird. „Wir haben die Hypothese aufgestellt, dass wechselwarme Organismen optimale Temperaturbedingungen durch ähnliche Hirnmechanismen wie Menschen erkennen und diese ihnen dabei helfen, die richtige Temperatur-Umgebung zu finden“, erklärt Prof. Dr. Ilona Grunwald Kadow vom Institut für Physiologie der Universität Bonn und des UKB.
Fischlarven beim „Denken“ zugeschaut
Der Zebrafisch eignet sich sehr gut zur Untersuchung dieser These: Seine Larven sind durchsichtig; man kann ihnen daher ins Gehirn sehen, während sie im Labor bestimmte Aufgaben durchführen. Genau das haben die Forschenden auch gemacht. „Die Tiere waren genetisch so verändert, dass sie in ihren Nervenzellen einen Farbstoff produzierten“, erklärt Grunwald Kadow vom UKB, die auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life & Health“ der Universität Bonn ist. „Dadurch leuchteten die Neuronen bei Aktivität auf. Wir konnten daher unter dem Mikroskop beobachten, welche Hirnregionen gerade arbeiteten.“
In ihren Experimenten umströmten die Forschenden die Tiere mit Wasser, dessen Temperatur zu- oder abnahm. „Wir beobachteten nun, wie sie reagierten“, erklärt Dr. Virginia Palieri. Sie hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der TUM untersucht, inwieweit sich die Mechanismen der Körpertemperaturregulation zwischen wechselwarmen und gleichwarmen Tieren wie dem Menschen ähneln. „Wir konnten so zeigen, dass die Fische eine Temperatur von 25,3 Grad präferieren. Sobald es wenige Zehntel Grad kälter oder wärmer war, begannen sie, nach einem angenehmeren Ort zu suchen.“
Navi erhöht die Chance, schnell optimale Lebensbedingungen zu finden
Dabei wurden in ihrem Gehirn zwei Gebiete aktiv – der präoptische Bereich des Hypothalamus (abgekürzt PoA) und die dorsale Habenula. Der PoA scheint vor allem dafür zuständig zu sein, Abweichungen von der Soll-Temperatur zu erkennen. „Wenn wir den PoA bei den Tieren ausschalteten, setzte auch bei größeren Differenzen zur Wohlfühl-Temperatur kein Suchverhalten ein“, sagt Palieri. Interessanterweise verfügen auch Säugetiere wie der Mensch über einen PoA. „Und auch bei diesen deutlich höher entwickelten Organismen ist diese Hirnregion für die Temperatur-Regulation zuständig“, erklärt Grunwald Kadow. „Sie steuert dort allerdings vor allem autonome Maßnahmen wie Schwitzen oder Muskelzittern und weniger das Verhalten.“ Dennoch zeigt die Studie, dass das „Thermostat“ im Gehirn schon ausgesprochen alt ist, also bereits sehr früh im Laufe der Evolution entstand.
Die Habenula fungiert dagegen offensichtlich als Navi: Mit ihr merkt sich der Fisch, an welchem Ort eine angenehme Temperatur herrschte, und schwimmt dann zielgerichtet dorthin zurück. „Mit ihrem Navi können sich die Tiere sehr effizient orientieren und schnell zur Stelle mit der besten Temperatur zurückfinden“, erklärt Prof. Dr. Ruben Portugues vom Institut für Neurowissenschaften der TUM und Forscher im Exzellenzcluster SyNergy, der die Studie zusammen mit Ilona Grunwald Kadow geleitet hat.
Wird die Habenula-Region ausgeschaltet, verliert das Tier sein Orientierungsvermögen. Ähnlich wie Bakterien oder andere Einzeller greift es stattdessen auf eine alternative Suchstrategie zurück: Es schwimmt eine Weile geradeaus und prüft dann, ob sich die Temperatur in die gewünschte Richtung verändert hat. Falls ja, behält es die Richtung bei; ansonsten dreht es nach dem Zufallsprinzip ab und schwimmt dann in die neue Richtung weiter. Diese Abfolge wird wiederholt, bis ein Ort mit einer besser passenden Temperatur gefunden wurde.
Wie das Navigationssystem der Zebrafische genau funktioniert, ist noch weitgehend unbekannt. Man vermutet aber, dass dort spezielle „Kompass-Zellen“ existieren. Möglicherweise speichert die Habenula ihre Stellung und kann so Bewegungsabläufe rekonstruieren. „Wir wollen diese Hypothese nun genauer untersuchen“, sagt Prof. Portugues. Spannend ist in diesem Zusammenhang noch ein weiterer Aspekt: Das Navigationssystem kommt offensichtlich nicht nur bei der Suche nach Orten mit einer passenden Temperatur zum Einsatz. Es hilft auch, Stellen mit einem zuträglichen Salzgehalt, pH-Wert oder ähnlichen lebenswichtigen Bedingungen oder Ressourcen wiederzufinden.
Das zeigt, wie effizient das Gehirn ist: Hat es einmal eine Lösung für ein bestimmtes Problem entwickelt, nutzt es sie gerne auch für andere, ähnlich gelagerte Aufgaben. Das stimmt nicht nur innerhalb einer Tierart: Auch im Laufe der Evolution blieben diese Lösungen erhalten und wurden weiterentwickelt.