Universität Bonn

Medizinische Fakultät

27. Mai 2024

Wie Bakterien unser Verhalten beeinflussen können Wie Bakterien unser Verhalten beeinflussen können

Studie mit Bonner Beteiligung zeigt den Einfluss vom Darmmikrobiom auf unsere Entscheidungen

Das Darmmikrobiom beeinflusst unsere Entscheidungen in sozialen Kontexten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie unter der Federführung der Sorbonne Université sowie INSEAD mit Beteiligung der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn (UKB). Die Studie ist in Proceedings of the National Academy of Sciences Nexus veröffentlicht worden.

Prof. Marie-Christine Simon vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften
Prof. Marie-Christine Simon vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften © Studioline Düsseldorf
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Jeden Tag treffen wir viele Entscheidungen, die nicht nur uns selbst, sondern auch die Menschen um uns herum betreffen: ob der Umgang mit unterschiedlichen Meinungen in einer Teambesprechung, das Trinkgeld für die Bedienung in einem Restaurant, die Wahl einer Wochenendaktivität mit Freunden oder die Entscheidung zwischen konventionellen und nachhaltigen, aber teureren Produkten.

Um zu erklären, wie wir in solchen sozialen Kontexten Entscheidungen treffen, haben sich Forschende bisher auf Eigeninteresse, soziale Normen und kognitive Prozesse konzentriert. In einer neuen Studie unter der Federführung der Sorbonne Université mit Beteiligung der Universität Bonn und des UKB hingegen stand das Darmmikrobiom im Fokus. Mit überraschendem Ergebnis: Die Forschenden um Prof. Hilke Plassmann vom INSEAD zeigt, dass die Billionen von Bakterien und anderen Mikroorganismen, die in unserem Darm leben, die soziale Entscheidungsfindung beeinflussen. Eine erhöhte bakterielle Vielfalt im Darm, die durch eine veränderte Ernährung hervorgerufen wurde, geht dabei mit einem gesteigerten Sinn für soziale Fairness bei finanziellen Entscheidungen einher.

Das Experiment

Die Forschenden stellten die Hypothese auf, dass eine Veränderung der Zusammensetzung des Darmmikrobioms den Dopamin- und Serotoninspiegel verändern könnte, zwei Hirnchemikalien, die mit belohnungsbasiertem Erkennen und Verhalten in Verbindung stehen. Solche Veränderungen könnten sich wiederum auf die soziale Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Fairness auswirken.

Um die Hypothese zu überprüfen, verwendeten sie eine klassische Aufgabe aus der Verhaltensökonomie, das so genannte „Ultimatumspiel“. Bei diesem Spiel schlägt eine Person einer anderen vor, wie sie einen bestimmten Geldbetrag aufteilen soll. Letztere kann das Angebot entweder annehmen oder ablehnen, und wenn sie ablehnt, bekommt keiner von beiden das Geld.

Als unfair empfundene Angebote werden in der Regel abgelehnt, was den Sinn der Menschen für Fairness und den Wunsch widerspiegelt, schlechtes Verhalten zu bestrafen, selbst wenn dies auf Kosten des persönlichen Geldgewinns geht. Dies steht im Gegensatz zu dem, was die Standard-Wirtschaftstheorie nahelegt: Eine rationale Person würde jeden Betrag akzeptieren, auch wenn er viel geringer ist als der Betrag, den der erste Spieler für sich selbst behalten will.

Das Experiment wurde mit 101 Teilnehmern in zwei identischen Sitzungen von Prof. Marie-Christine Simon, Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften an der Universität Bonn und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life and Health“ der Uni Bonn, sowie Prof. Dr. Bernd Weber, Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung am UKB und ebenfalls Mitglied im TRA „Life and Health“, und ihrer Arbeitsgruppe durchgeführt. In der ersten Sitzung erschienen die Teilnehmer nüchtern und gaben Stuhl- und Blutproben ab. Anschließend führten sie mehrere Verhaltensaufgaben durch, darunter das Ultimatumspiel. Sie mussten entscheiden, ob sie 20 Angebote annehmen oder ablehnen sollten, die jeweils von einer anderen Person gemacht wurden und zwischen 0 und 5 Euro lagen.

Nach dem Spiel wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von zwei Gruppen zugeteilt. Die eine Gruppe erhielt ein handelsübliches Nahrungsergänzungsmittel mit Probiotika (nützlichen Bakterien) und Präbiotika (Nahrung für nützliche Bakterien), das sie sieben Wochen lang täglich einnehmen sollten. Die andere Gruppe erhielt ein Placebo. Sieben Wochen später nahmen alle Teilnehmenden an einer zweiten, identischen Sitzung teil.

Die Interventionsgruppe zeigt im Vergleich zur Placebogruppe eine größere Neigung, unfaire Angebote abzulehnen. Die Zusammensetzung des Darms der erstgenannten Gruppe wurde ebenfalls vielfältiger; dieser Effekt war bei Teilnehmenden mit einem höheren Körperfettanteil und einem unausgewogenen Darmmikrobiom stärker ausgeprägt. Letzteres wird mit Fettleibigkeit und anderen klinischen Erkrankungen wie Depression und Autismus in Verbindung gebracht.

Um die Veränderungen des Darmmikrobioms mit sozialem Verhalten in Verbindung bringen zu können, maßen die Forschenden die Konzentrationen von Vorläufersubstanzen für Dopamin und Serotonin in den Blutproben der Probandinnen und Probanden.

In der Interventionsgruppe zeigten sich Veränderungen des Tyrosinspiegels, einer Dopaminvorstufe. Interessanterweise sank der Tyrosinspiegel bei Personen mit einem unausgewogenen Darmmikrobiom zu Beginn der Studie eher. Außerdem neigten sie eher zu altruistischen Bestrafungen als Teilnehmende mit einem ausgeglichenen Darmmikrobiom.

Damit zeigt die Studie zum ersten Mal, dass das Mikrobiom das Sozialverhalten beeinflussen kann, indem es den Gehalt an Dopaminvorläufern beeinflusst.

Der Originaltext stammt von Hilke Plassmann und ist auf der Webseite des INSEAD online: https://knowledge.insead.edu/career/guts-and-fairness-how-bacteria-may-influence-your-behaviour  

Die Federführung der Studie liegt bei der Sorbonne Université und INSEAD unter Beteiligung der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn. Die Studie wurde durch das ERC Tremplin-Stipendium der Agence Nationale de Recherche (ANR) und das Promotionsstipendium der Health Economics Initiative der Sorbonne University Alliance finanziert sowie durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats unterstützt.

Marie Falkenstein, Marie-Christine Simon, Aakash Mantri, Bernd Weber, Leonie Koban, Hilke Plassmann, Impact of the gut microbiome composition on social decision-making, PNAS Nexus, Volume 3, Issue 5, May 2024, pgae166, https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgae166  

Prof. Dr. Marie-Christine  Simon
Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften
Universität Bonn
E-Mail: marie-christine.simon@uni-bonn.de

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