Monilethrix ist eine angeborene seltene Form der Haarlosigkeit, fachsprachlich Alopezie, und beginnt meist bereits in den ersten Lebensmonaten. Sie betrifft hauptsächlich den Bereich am Hinterkopf. Auffallend ist eine extrem variable Ausprägung von wenig Haarausfall bis hin zu einer vollständigen Haarlosigkeit innerhalb einer Familie. Dem betroffenen „Spindelhaar“ verleihen wiederkehrende Knoten normaler Stärke das Aussehen einer Perlenschur. Die Einschnürungen dazwischen brechen sehr leicht. Bei der dominant-vererbten Monilethrix sind für das so gestörte Keratin-Netzwerk, das eine wichtige Rolle beim Aufbau der Haarstruktur spielt, bislang Mutationen in den drei Keratin-Genen KRT81, KRT83 und KRT86 bekannt.
Nonsense (Stopp)-Mutation für „Spindelhaar“
Das Forschungsteam um Prof. Regina Betz vom Institut für Humangenetik am UKB, die ein Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ sowie im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn ist, untersuchte vier Familien mit Verdacht auf Monilethrix, bei denen keine Mutationen in den drei bekannten Genen gefunden wurden. Deshalb hat das Team bei sechs betroffenen Familienmitgliedern eine Exom-Sequenzierung durchgeführt, das heißt, alle Protein-kodierenden Bereiche wurden in deren Erbgut untersucht.
Die Bonner Forschenden fanden bei allen sechs Betroffenen eine so genannte Nonsense (Stopp)-Mutation im KRT31-Gen, die zu einem vorzeitigen Abbruch der Synthese des Proteins führt. Bei den weiteren betroffenen Familienmitgliedern konnten sie mit Hilfe zusätzlicher Sequenzierungen ebenfalls diese Mutation finden. Somit konnte die Arbeitsgruppe um Prof. Betz mit KRT31 ein neues Gen für Monilethrix identifizieren. „Auch wenn sich die betroffenen Familien aus Deutschland nicht kennen und aus unterschiedlichen Regionen kommen, konnten wir zeigen, dass diese Mutation höchstwahrscheinlich bei einem gemeinsamen Vorfahren entstanden ist und anschließend über viele Generationen weitervererbt wurde. Ob sich diese Mutation auch europa- oder sogar weltweit finden lässt, wird sich noch zeigen, ist aber wahrscheinlich“, sagt Erstautor Xing Xiong, Doktorand der Universität Bonn am Institut für Humangenetik des UKB.
Gen-Lokalisation in der Zelle bestimmt Funktion
Die Bonner Forschenden schauten sich die die Funktion von KRT31 genauer an. Das von KRT31 kodierte Protein ist, wie viele andere Keratine, am Aufbau von Hautzellen beteiligt. Diese Proteine lagern sich zu polymeren Faserproteinen zusammen und bilden so das Stützgerüst für die Zelle. Gibt es Fehler bei diesen Proteinen, entstehen Erkrankungen an der Haut und am Haar. Untersuchungen am Mikroskop mit Immunfluoreszenz zeigten, dass das „normale“ KRT31 im Zellplasma lokalisiert ist, während das mutierte KRT31 hauptsächlich um die Zellmembran zu finden ist. „Die Lokalisierung des Proteins in der Zelle ändert sich also mit der Mutation. Somit wird auch dessen Funktion beeinträchtigt sein“, konstatiert Prof. Betz.
In Kooperation mit dem Team des Exzellenzclusters ImmunoSenstation2 der Universität Bonn um Prof. Matthias Geyer, Direktor des Instituts für Strukturbiologie am UKB, analysierte das Team um Prof. Betz auch die Struktur des Proteins und die möglichen Effekte der Stoppmutation. In der Regel richten sich immer zwei Keratin-Moleküle als Heterodimer im Doppelpack mit ihren Enden an den Enden anderer Heterodimere aus, und zwar durch Bildung von so genannten Disulfid-Bindungen. „Wir nehmen an, dass durch die Stopp-Mutation diese Disulfid-Bindung nicht mehr gebildet werden kann und somit die Funktion des Proteins beeinträchtigt ist“, sagt Prof. Betz. Sie ist davon überzeugt, dass eine Aufnahme von KRT31 in diagnostische Genpanel für Haar-, Haut- und Nagelerkrankungen die Diagnostik für Betroffene mit Haarausfall verbessern wird.