Auch wenn die Zahl der schweren Verläufe nach einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 zurückgegangen ist, gibt es noch ein großes Interesse daran zu verstehen, warum in der Hochphase der Corona-Pandemie die Infektion bei einigen Personen schwerwiegend verlaufen ist, bei anderen aber nicht. „Das ist wichtig, weil wir so Informationen über die Funktion und Reaktion des Immunsystems bei Erstkontakt mit einem Erreger erhalten. Wenn wir besser verstehen, wie schwere Krankheitsverläufe entstehen, können wir Risikopersonen identifizieren und besser schützen oder gezielte Therapien entwickeln. Wir gehen davon aus, dass sich die Erkenntnisse zumindest zum Teil auf zukünftige Pandemien übertragen lassen.“, sagt Korrespondenzautorin Prof. Kerstin Ludwig vom Institut für Humangenetik des UKB, die auch Mitglied des Exzellenzclusters ImmunoSensation2 und des Transdisziplinären Forschungsbereich TRA „Life and Health“ der Universität Bonn ist.
Neben vielen möglichen Gründen wie erhöhtes Alter oder Vorerkrankungen können bei einigen Personen die eigenen Erbanlagen einen schweren Verlauf verursachen. Frühe Arbeiten in der Pandemie hatten bereits betroffene Gene identifiziert, wobei die meisten davon an der angeborenen Immunabwehr beteiligt sind. Das Gen mit der bisher stärksten Evidenz ist das Gen TLR7, welches bereits im Sommer 2020 in zwei niederländischen Brüderpaaren mit schweren Verläufen als Krankheitsursache identifiziert wurde. Es war bisher aber noch nicht bekannt, inwieweit die Wirkung von genetischen Veränderungen in TLR7 unabhängig von anderen nicht-genetischen Risikofaktoren ist, und ob es noch weitere Gene gibt, in denen so genannte Mutationen das Risiko für schweres COVID deutlich erhöhen.
Erhöhtes Risiko für schweren Covid-Verlauf liegt neben TLR7 in drei weiteren Genen
In der jetzt veröffentlichten Studie schaute sich eine internationale Forschungsgruppe um Prof. Ludwig die Gensequenzen von 52 Kandidaten-Genen, darunter auch TLR7, in einer vergleichsweise großen Patientenstichprobe an. Über Kooperationen mit verschiedenen europäischen Gruppen erhielten die Bonner Forschenden Zugang zu DNA-Material von 1.772 Personen mit schweren COVID-19-Verläufen und 5.347 Kontrollpersonen mit unbekanntem SARS-CoV-2-Status aus Spanien und Italien – also aus Regionen, wo besonders zu Beginn der Pandemie eine sehr hohe Inzidenz sowie eine hohe Sterblichkeit zu beobachten war. Alle Betroffenen waren in der Zeit infiziert, in der es noch keine Impfungen gab – diese Personen hatten also noch keinen Immunschutz und waren dem Virus somit quasi „unvorbereitet“ ausgesetzt.
In dieser großen Personengruppe waren Mutationen, die das TLR7-Gen funktionsunfähig machen, tatsächlich deutlich häufiger in schwer betroffenen COVID-19-Patienten zu beobachten als in der Kontrollgruppe. „Diese ‘Anreicherung’ war noch stärker, als nur diejenigen Betroffenen betrachtet wurden, die aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes eigentlich kein großes Risiko für einen schweren Verlauf gehabt hätten. Das bedeutet, dass bestimmte Mutationen in diesem Gen das Risiko für einen schweren Verlauf deutlich erhöhen“, sagt Erstautor und Doktorand am Bonner Institut für Humangenetik Jannik Boos, der das Projekt federführend bearbeitet hat. Neben TLR7 konnten die Bonner Forschenden noch in den drei weiteren Genen TBK1, INFAR1 und IFIH1 Mutationen in der Gruppe der schwerbetroffenen Personen identifizieren.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bei COVID-19-Verlauf aufgrund Erbanlagen?
Bei TLR7 schauten die Bonner Forschenden dann noch etwas genauer hin und fanden etwas Interessantes: Das Gen TLR7 liegt auf dem X-Chromosom, von denen Männer nur eine Kopie haben, Frauen aber zwei. „Wenn also auf einer Kopie ein Funktionsverlust von TLR7 vorliegt, haben Männer kein funktionierendes Gen mehr – Frauen dagegen immer noch eine gesunde Kopie, also somit zumindest ein bisschen funktionierendes TLR7. Daher war es für uns überraschend, dass wir auch bei Frauen mit schweren COVID-19-Verläufen häufiger TLR7 Mutationen fanden“, sagt Dr. Axel Schmidt, der am Institut für Humangenetik sowie in der Abteilung für Neuropädiatrie am UKB als Assistenzarzt tätig ist und mit Prof. Ludwig die Studie leitete. Gemeinsam mit dem Team um Prof. Alexander Hoischen vom Universitätsklinikum Radboudumc in den Niederlanden fanden die Bonner Forschenden erste Hinweise dafür, dass die Art der genetischen Veränderungen bei Frauen anders ist: Während bei Männern die Mutationen zum Fehlen von TLR7 führen, scheinen bei Frauen die „kaputten“ TLR7-Versionen mit den „gesunden“ Kopien zu interagieren und somit diese auch in ihrer Funktion zu beeinflussen. „Wir gehen davon aus, dass TLR7 auch bei Frauen mit schwerem COVID beeinträchtigt sein kann, vermutlich aber über einen anderen biologischen Mechanismus“, sagt Ludwig, die nun in Zusammenarbeit mit Gruppen des Immunosensation2-Clusters klären will, ob diese Hypothese stimmt und, wenn ja, was die Auswirkungen dieses Mechanismus auf das Immunsystem sind.