Ein schriller Pfiff hallt durch den zweiten Stock des Lehrgebäudes der Medizinischen Fakultät. Eilig klappen Studierende die an Türen befestigten Aufgabenblätter mit beeindruckender Syn-
chronität auf. Konzentriert versuchen sie, diese schnellstmöglich zu erfassen. Unter ihnen sind auch Carlotta Petri und Victor Moldovan, die sich beide im sechsten Fachsemester befinden.
Eine Minute haben sie nach dem Ertönen der Trillerpfeife Zeit, die ausgehängten Aufgabenstellungen zu lesen und zu verstehen. Anschließend treten sie in den zugehörigen Raum. Die Prüfungssituation beginnt. Vier Minuten haben sie ab diesem Moment Zeit, den Prüfenden einer jeden Station, welche sich bereits im Raum befinden, ihr Können unter Beweis zu stellen. Am Ende einer jeden Station erhalten sie jeweils eine kurzes Feedback, bevor wieder ein Pfiff ertönt und es zur nächsten Station geht. Einzige Ausnahme ist das Patient*innengespräch, hierfür ist die doppelte Menge an Zeit eingeplant.
Für die beiden Medizinstudierenden und ihre Kommilitone*innen ist es die erste OSCE-Prüfung während ihres Studiums. OSCE, das steht für „objective structured clinical examination“. Es beschreibt ein außergewöhnliches, praktisches Prüfungsformat, bei dem die Studierenden einen Parcours aus verschiedenen Themen-Stationen absolvieren. Heute werden die Grundlagen klinischer Untersuchungen und der Umgang mit Patient*innen (GKU) geprüft.
Vor Beginn der Tests war eine leichte Anspannung bei den Prüfungsteilnehmenden spürbar, die auch die obligatorischen FFP2-Masken nicht komplett verstecken konnten. „Vor der Prüfung war ich nervös, da es das erste Mal war, dass man in seiner praktischen Tätigkeit bewertet wurde“, fasst Victor seine Gefühlslage zusammen. „Aber sobald man die erste Station bewältigt hatte, sank die Nervosität schnell. Nach der Prüfung war ich erleichtert, dass ich es geschafft hatte“, fügt er hinzu, auch wenn dieses Gefühl der Erleichterung mitten in der Klausurenphase nur von kurzer Dauer gewesen sei. Auch Carlotta gibt zu, vor der ersten Station etwas nervös gewesen zu sein. Für sie habe sich dieses Gefühl aber „im Rahmen der normalen Prüfungsangst“ bewegt. Einen Grund dafür sieht sie darin, „dass es ein komplett neues Konzept war“.
Dieses spezielle Prüfungsformat wurde in Bonn erstmalig im Jahr 2012 vom Fachbereich der Kinderheilkunde durchgeführt. Seitdem hat sich dieses Prüfungskonzept nicht nur bewährt, sondern darüber hinaus auch Einzug in immer mehr Fachbereiche und Lehrpläne erhalten. „Der größte Unterschied zwischen Standard- und OSCE-Prüfung bestand darin, dass ich zum ersten Mal die Chance hatte, zu merken, wie viele Informationen ich aufnehmen konnte, ohne die Angst zu haben, die Klausur wiederholen zu müssen“, hebt Carlotta hervor. Denn diese erste OSCE-Prüfung ist unbenotet. Auch wenn sich dies mit den späteren Prüfungen im Studienverlauf ändern wird, ist es hier noch nicht möglich, durchzufallen. Das gefällt auch Victor: „Normalerweise steht bei Prüfungen immer der Druck des Bestehens oder eine Note im Vordergrund. Bei dieser OSCE-Prüfung ist das anders. Hier geht es nicht um das Bestehen, sondern man versucht das, was man im vergangenen Jahr im GKU-Kurs gelernt hat, anzuwenden.“
Da es bei dieser Prüfung nicht nur um das bloße Reproduzieren von erlerntem Wissen geht, sondern die Anwendung im Vordergrund steht, unterscheidet sich auch die Vorbereitung der Studierenden zu herkömmlichen Prüfungsformaten. Bei der OSCE-Prüfung werden Szenarien simuliert, die im Beruf später auf die Prüfungsteilnehmenden zukommen werden. So werden zum Beispiel mit Schauspielenden Patient*innengespräche nachgestellt oder die Studierenden werden aufgefordert, an einem künstlichen Übungskörper eine korrekt durchgeführte Blutentnahme zu demonstrieren. Die Prüfung ist eine Standortbestimmung. Die Studierenden merken, wo sie in Hinblick auf ihre praktischen Fähigkeiten nach sechs Semestern und dem Durchlaufen des klinischen Untersuchungskurses stehen.
„Bei der Vorbereitung für die OSCE-Prüfung hab ich mir zwar auch die Heidelberger Standarduntersuchung durchgelesen, aber vor allem hab ich mich mit Freund*innen getroffen und Untersuchungen durchgesprochen und geübt“, erklärt Victor sein Vorgehen. Carlotta erzählt, sich vor allem durch einen Ferienkurs vorbereitet zu haben. „Zudem hat mir mein Nebenjob in der Pflege im Krankenhaus enorm geholfen, da ich bei vielen Prüfungsstationen Erfahrungen einfließen lassen konnte, die ich durch meine Tätigkeit dort gewonnen habe“, erläutert Carlotta weiter.
Für sie ist es eine Chance, früh zu üben, was später auf sie als Ärztin zukommen wird. „Es ist ein fantastischer Einstieg in die Klinik, wo man zum ersten Mal mit reellen und praktischen Situationen konfrontiert wird“, resümiert Carlotta. Victor schätzt an der OSCE-Prüfung, „dass man auf sich alleine gestellt ist und keine andere Person an seiner Seite hat, die im Notfall aushelfen kann. So bekommt man seine Stärken und Schwächen vor Augen geführt“. Allerdings würde sich der Student wünschen, dass das Feedback etwas ausführlicher ausfallen würde. Dafür bleibt jedoch nur wenig Zeit, denn der nächste Pfiff ertönt. Beide machen sich eilig auf zum nächsten Raum, es gilt keine Zeit zu verlieren.